Review: Mass Effect 3 Extended Cut

BioWare hat stürmische Zeiten hinter sich: nachdem das Ende von Mass Effect 3 große Wellen geschlagen hat dürfte der ein oder andere Plan in Edmonton über den Haufen geworfen worden sein. Multiplayer-DLCs, für die unter anderen Umständen bestimmt Geld verlangt worden wäre, wurden kostenlos verteilt und Story-DLCs wurden verschoben für ein ungeplantes Projekt, welches die Wogen in der Spielerschaft glätten sollte: Der Extended Cut. Kein neues Ende, aber mehr Informationen und Erklärungen haben die Kanadier versprochen, um zumindest eine Teil ihres Rufes wieder herzustellen. Zwar wurde es die letzten Monate erwartungsgemäßg ruhig um Mass Effect 3 (abgesehen von den Multiplayer-Events), BioWare hat aber Wort gehalten und den DLC fertig gestellt, veröffentlicht wurde er sehr kurzfristig. Kosten und Mühen wurden nicht gescheut, so wurden z.b. die Synchronsprecher noch einmal ins Studio gebeten. Dass dabei bestimmt auch Aufnahmen für weitere DLCs gemacht wurden kann man BioWare schlecht verdenken – geplant waren sie so oder so. Zudem gibt es eine Reihe neuer Videosequenzen, die die bisherigen ergänzen oder ersetzten. Den Extended Cut DLC gibt es kostenfrei auf Origin, ich habe Mass Effect 3 dafür noch einmal ausgegraben.

SPOILER WARNUNG
Da es um das Ende geht kann ich Spoiler kaum vermeiden. Da ich ansonsten den kompletten Eintrag in einen Spoiler packen müsste, lass ich das lieber und schreibe eine Warnung darüber

Um alle neuen Inhalte zu sehen braucht es einen Spielstand vor dem Angriff auf die Cerberus Basis – der sollte aber automatisch angelegt worden sein, da man danach keine andere Wahl hat als zur Erde zu gehen. An dieser Mission ändert sich nicht viel, nur EDI und die andere Begleitung geben weitere Kommentaren zu den Geschehnissen ab und ein paar der Dialoge wurden geringfügig erweitert. Kleinere Unklarheiten wurden dadurch ausgeräumt, wobei in dieser Phase des Spiels noch das meiste klar sein sollte.
Danach geht es weiter zur Erde und auch zu Beginn dieser Mission bleiben die Neuerung überschaubar. Allerdings werden schon die ersten Logiklücken geschlossen. Durch die vielen Kombinationsmöglichkeiten ist es für mich unmöglich, alle aufzuzählen. An dieser Stelle waren aus eher kleinere Ungereimtheiten, die durch zusätzliche Dialoge ausgebessert wurden. Spielerisch gibt es allgemein nichts neues, aber da gab es auch nichts zu beanstanden. Richtig viel neues gibt es nun nach der letzten Mission, in der man einen Reaper-Destroyer mit Thannix-Raketen erledigen muss. Kein Wunder, in den letzten Abschnitten gab es auch die größten Kritikpunkte. Die meisten Sequenzen danach laufen von selbst ab oder man hat nur noch sehr begrenzten Einfluss.
Zunächst wird geklärt, wie die Team Mitglieder von Shepard zusammen mit der Normandy vor der Energiewelle des Catalyst fliehen konnten: Als die Truppentransporter von Reaper abgefangen wurden, bevor man zum Teleporter rennt, wird der Wagen von Shepards Kameraden getroffen und einer der beiden Begleiter verletzt (in meinem Fall Garrus). Shepard ruft daraufhin die Normandy, die ihren aktuellen Einsatz abbricht und direkt zur Unfallstelle fliegt. Nach einem kurzen Dialog nimmt sie die beiden auf und Shepard setzt seine Mission wir gehabt fort, während die Normandy sich daran macht, das sofort Sol-System zu verlassen. Aus meiner Sicht zwar keine ganz ideale Lösung, aber immerhin wurde einer der gröbsten Logiklücken geschlossen.
Danach geht es unverändert weiter: Shepard sprintet zum Teleporter, wird getroffen und schwer verletzt, um dann in Zeitlupe hin zu wanken und die letzten Gegner aufs Korn zu nehmen (Marauder Shields und so…). In der Umgebung wurden davor schon einige Details verändert, die primär wohl darauf abzielen, die Indoktrination-Theorie zu widerlegen (im Kern sagt sie, dass alles, nach der Verletzung Shepards passiert, sich nur in seinem Kopf abspielt und sich um seinen Kampf gegen die Indoktrinieren durch die Reaper dreht. Als „Beweis“ wurde u.a. angeführt, dass danach in der Zeitlupen-Sequenz kahle Sträucher auftauchen, die davor nicht da sind – jetzt sind sie auch davor da. Das ganze dürfte also nur ein Fehler bzw. eine Fehlinterpretation sein). Danach ändert sich auch wenig, auch wenn ich den Eindruck hatte, dass der Gang mit dem Weg zur Plattform, auf welcher der finale Dialog stattfindet, etwas verändert wurde. Davor wurden wahrscheinlich Assets aus Mass Effect 2 bzw. dem Shadow-Broker-DLC wiederverwendet. Viele haben versucht da etwas hinein zu interpretieren, ich denke da war BioWare einfach nur etwas faul und fahrlässig. Die Wiederverwendung von Assets ist nichts ungewöhnliches, aber an dieser Stelle hätte man es etwas weniger Auffällig machen können.
Es folgt der Dialog mit Anderson und dem Illusive Man, an dem sich generell wenig ändert. Es wird aber expliziter dargestellt, dass die Reaper versuchen Shepard zu indoktrinieren, was sie aber in keinem mir bekannten Fall schaffen. Die Dialogoptionen sind noch die gleichen, die Enden dieses Teils auch.

Dann kommt die wohl umstrittenste Sequenz des ganzen Spiels: die Einführung des Catalyst als neue Macht, die quasi alles erklärt. Allerdings ist der Dialog nun gut dreimal so lang, da man viel mehr auf die Konsequenzen hingewiesen wird. Auch gibt es eine neue, vierte Wahlmöglichkeit: Shepard kann sich weigern irgendwas zu tun, dann gewinnen die Reaper, der Zyklus geht weiter und das letzte, was man sieht ist eine von Liaras Bojen mit ihrer Aufzeichnung sowie ein anderer Epilog im Stil des bereits bekannten. Was BioWare dazu bewegt hat ist mir schleierhaft, da das Ende aus meiner Sicht vollkommen unsinnig ist. Shepard hat im Verlauf des Spiels mehrmals über Leben und Tod ganzer Völker entschieden (Rachni, Kroganer), den Kampf gegen die Reaper so lange geführt, die größte Streitmacht dieses Zyklus aufgestellt und dann zieht er im entscheidenden Moment den Schwanz ein? Das ist mehr als unglaubwürdig…
Aber es gibt immer noch die drei bekannten Enden Control, Destroy und Synergy. Die Konsequenzen bleiben gleich, aber man bekommt viel mehr Infos nach dem Ende des Spiels. Die Videosequenzen wurden stark erweitert, so dass ein richtiger Epilog entsteht. Viele offene Fragen werden geklärt, so sind im besten Fall die Mass Effect Relays zwar beschädigt, aber nicht irreparabel – es kann also weiter gehen. Auch der weitere Verbleib von Crewmitgliedern und anderer Personen wird geklärt, dabei kommentieren entweder Admiral Hackett (in Control und Destory) oder EDI (in Synergy) den Epilog. Der kurze Epilog nach den Credits bleibt, wobei für das vierte eine neue Variante gezeigt wird. Am Ende an sich und Bedingungen dafür (War Assets, Zerstörung der Collector-Basis in Mass Effect 2) hat sich nichts geändert – man wird aber bei weitem nicht so im dunkeln gelassen wie zuvor, an vielen Stellen ist nun klar, wie es weiter geht. Das war einer meiner größten Kritikpunkt, der damit fast komplett beseitigt wurde. Ein paar Unklarheiten bleiben, diese sind aber nicht ganz so tragisch wie das, was davor offen blieb.
In den Kanon der Serie wird wohl nur ein Ende einziehen, ich persönlich halte das beste Destroy-Ende für am wahrscheinlichsten. In diesem Fall wird alles synthetische Leben zerstört (inkl. der Reaper und Geth), die weiteren Schäden bleiben aber im Rahmen und es wird offen gelassen, ob Shepard überlebt hat – in anderen Varianten ist er tot.

Aus meiner Sicht liefert der Extended Cut das Ende, dass Mass Effect 3 gebraucht und auch verdient hatte. Ich kann mich zwar mit einer der Grundideen immer noch nicht anfreunden (da wird am Ende eine neue Macht aus dem Hut gezaubert die einfach mal alles erklärt – für mich ist das eine sehr billige Auflösung und passt so gar nicht zu der ansonsten sehr durchdachten Geschichte der drei Spiele) und die Entscheidungen des Spielers haben bei weitem nicht die Tragweite, wie immer versprochen und einem während des Spiels vorgegaukelt wird. Aber die anderen Kritikpunkte wie die vielen Logiklücken und Unklarheiten wurden beseitigt. So ist das Ende für ich viel versöhnlicher und ich denke, die meisten Fans wären damit auch wesentlich mehr Einverstanden gewesen wie mit der ersten Version.
Was mir dabei aber schleierhaft ist, wie bei BioWare niemanden diese offensichtlichen Defizite auffallen konnten. Normalerweise wird bei einem Spiel, das von Anfang an als Trilogie ausgelegt ist, die Hauptstory zu Beginn festgelegt. Die großen Highlights, Cliffhanger zwischen den Teilen und das Ende stehen während der eigentlichen Entwicklung schon fest, die Details entstehen dann nach und nach. Nur so lässt sich erreichen, dass die komplette Geschichte aus einem Guss ist und kein Stückwerk wird. Das gleiche wird bei jedem guten Romanzyklus angewandt. Warum es aber, nachdem 99% der Trilogie absolut erstklassig erzählt und geschrieben sind und dann so kurz vor Schluss ein solcher Stilbruch mit dem Catalyst eingeführt wird erschließt sich mir nicht. Wurde das kurz vor Schluss nochmal geändert und dann kam nur so was halb Durchdachtes heraus? Oder war das von Anfang an so geplant, aber keinem ist aufgefallen, dass das den Spielern sauer aufstoßen könnte? Das sind Fragen, die wahrscheinlich nie beantwortet werden. Weitergehen wird es mit Mass Effect mit Sicherheit, zuerst natürlich mit weiteren DLCs für Mass Effect 3, sowohl für Story als auch Multiplayer, der geradezu bemerkenswert unterstützt wird. Weitere Spiele und Ableger dürfte quasi garantiert sein, da die Marke für EA zu wertvoll sein dürfte. Ganz werden sie den Ruf des ersten, schlechten Endes allerdings nie los werden.