Review: To the Moon

Spiele gibt es mittlerweile in sehr vielen Formen und Ausführungen, von den gradlinigen, komplett auf das Gameplay konzentrierten über Story-lastige Spiele bis hin zu solchen, die dem Spieler nur sehr wenige Vorschriften machen. Bei anderen wird diskutiert ob das nun Kunst sei oder ob manche überhaupt sein Spiel sind. Ein solches ist auch To the Moon vom Indie-Entwickler Freebird Games. Das Spiel ist schon etwas älter (2011) und hat damals einiges an Aufsehen erzeugt. Nachdem es auch schon einige Zeit in meiner Spielebibliothek lag habe ich mir die Zeit genommen es auch mal zu spielen. Oder so ähnlich, aber dazu später mehr.

Screenshot: Ankunft der Wissenschaftler
Die Ankunft lief schonmal alles andere als glatt…

Dass das Spiel technisch keine Meisterleistung ist dürfte schon auf den ersten Blick klar sein. Das Spiel ist im RPG-Maker entstanden und sieht deshalb wie ein Rollenspiel der 16-bit Ära aus. Leider in einer nicht übermäßig gut gealterten Form, gerade die nicht mal für Smartphones mehr angemessene Auflösung von 640×480 Pixel trägt dazu bei. Insgesamt wirkt vor allem die Spielwelt wie ein merkwürdiger Mix aus Detailarmut und -überflutung. Zum einen ist fast jeder Pixel mit Verzierungen voll gestopft, andererseits wirkt es merkwürdig Detailarm und leblos, was besonders an den Außenarealen auffällt. Die Steuerung ist etwas hackelig und ich mir nicht sicher ob per Maus oder Tastatur die bessere Eingabeform ist – es hängt auch ein wenig von der Spielsituation ab. Sprachausgabe gibt es keine und auch Soundeffekte sind kaum vorhanden. Aber Musik – viel Musik. Und was für eine. Im Gegensatz zu Blockbuster-Spielen, die auf bombastischen, orchestralen Soundtrack setzten schlägt To the Moon eher leisere Töne an. Das passt zur ruhigen, eher melancholischen Grundstimmung des Spiels. Für jede Situation hat Entwickler Kan Gao eine passende musikalische Untermalung gefunden, was den größten Anteil an der Atmosphäre des Spiels hat. Man merkt hier dass er Komponist und Designern des Spiels in Personalunion ist, selbst bei Großproduktionen wird die musikalische Untermalung häufig ausgelagert was dann bewirkt dass es nicht immer wie aus einem Guss wirkt – hier ist das nicht der Fall.

Screenshot: Johns Haus
Im Haus von John kann man sich in der realen Welt umschauen und stößt schon früh auf einige Hinweise

Ich habe die Steuerung bzw. deren Defizite und das Gameplay ja schon etwas angeschnitten. Offiziell bezeichnet sich To the Moon als „indie Adventure RPG“ wobei ich nicht weiß wo das RPG geblieben ist. Klassische RPG-Elemente wie Erfahrungspunkte und Levelaufstiege, Fähigkeiten, Gegenstände und Inventar sind nicht vorhanden. OK, es hat ein Inventar, aber darin werden nur gefundene Gegenstände verzeichnet – etwas damit anfangen außer den Beschreibungen lesen kann man nicht. Mir kam es eher wie ein Adventure vor, mit dem grafischen Stil eines 16bit-RPGs. Die meiste Zeit kann man das Spiel fast wie ein Point&Click-Adventure spielen indem man den Bildschirm nach Hotspots absucht. Zwischen den Spielabschnitten bekommt man ein kleines Puzzle zu Gesicht, deren Schema aber immer das selbe ist und auf Dauer doch etwas öde wird, vor allem da es sehr aufgesetzt wirkt und kaum einen Bezug zur Geschichte hat. Und das ist mein größtes Problem mit dem Spiel: so gut wie alle Spielmechaniken wirken aufgesetzt, so als ob man sie nur eingebaut hat damit es nicht als interaktiver Film durchgeht. Generell läuft das Spiel in jedem Abschnitt nach dem selben Muster ab: man hört sich einige Dialoge an, sucht die Gegend nach bis zu fünf Mementos ab, löst ein Puzzle und dann das selbe im nächsten Abschnitt. Abwechslung hat in diesem Spiel Seltenheitswert und zudem ist es komplett linear – soweit das ich mir zeitweise dachte „Warum ist das kein Film geworden?“.

Screenshot: Krude Geschichte in Johns Haus
Der etwas krude Humor wird nicht nur durch die Bücher ins Johns Haus ersichtlich…

Jetzt könnte man natürlich meinen ich ließen an dem Spiel kein gutes Haar ohne auf seinen wichtigsten Teil einzugehen: die Geschichte. Und ist der Teil in dem das Spiel seine Stärken ausspielt: man lenkt durch das knapp vierstündige Abenteuer zwei Wissenschaftler, Dr. Eva Rosalene und Dr. Neil Watts (im Nachfolgenden der Einfachheit halber Eva und Neil genannt). Sie verfügen über eine Technologie die es ermöglicht, Erinnerungen zu verändern. Ihr Kunde ist ein Mann namens John, der im sterben liegt und den Wunsch hat, einmal zum Mond geflogen zu sein. Da er es aber in Wirklichkeit nie hat müssen die beiden Wissenschaftler in seine Erinnerungen eindringen um den Ursprung des Wunsches zu finden und dann seine Erinnerungen so zu verändern, damit er zumindest denkt er sei zum Erdtrabanten geflogen. Warum das so ist weiß er selbst nicht, es wird aber schnell klar dass es etwas mit seiner bereits verstorbenen Frau River zu tun hat. Was es genau ist und wie sich alles entwickelt hat gibt das Spiel nur sehr langsam preis, aber in einer so gefühlvollen Art wie es mir in noch keinem Spiel untergekommen ist. Wenn man die vorherigen Sätze ließt könnte man meinen die Geschichte ist ein Mischung aus Inception und Memento und ich würde auch nicht ausschließen dass einiger der Ideen den beiden Filmen von Christopher Nolan entsprungen sind, mehr ist es aber nicht. Es gibt keine Action, es ist kein Heldenepos oder erzählt eine Geschichte von global-politischer Tragweite, sondern nur von einem einfachen Kerl und seinem Traum.
Im Spiel selbst spielt man einzelne Zeitabschnitte aus Johns Vergangenheit. Dabei arbeiten sich die Eva und Neil rückwärts durch, sprich das Spiel beginnt nur kurz vor den realen Ereignissen über Abschnitten in denen seinen Frau River noch lebte bis hin zu frühesten Kindheitserinnerungen. In jedem Abschnitt bekommt man ein kleines Puzzelteil der Geschichte mehr, das erst kurz vor Ende ein ganzes Bild ergibt. Wenn es dann aber soweit ist würde ich jedem raten Taschentücher parat zu haben. Mir ist es noch nie passiert dass ein Spiel mich zu Tränen gerührt hat, egal wie tragisch die Ereignisse waren. Sie liefen immer auf eine Mischung aus Schock, Erstaunen und der anschließenden Wut und Rachegelüste heraus, aber das mich ein Spiel so emotional berührt ist vor To the Moon nie vorgekommen.

Screenshot: Simples Puzzle in To the Moon
Die aufgesetzt wirkenden Puzzles sind wohl nur eine Ausrede für Gameplay.

Aber zurück zu den Zeitabschnitten: in jedem ist das Ziel, bis zu fünf sog. Mementos zu finden, die alle in Verbindung zum Link zur nächsten Erinnerung stehen. Sie sind meistens nicht schwer zu finden, da man die Zusammenhänge schnell erlernt. Dazu kommt dass es keine „falschen“ Mementos gibt, sprich man kann auch schlicht das ganzen Level absuchen, da sie meistens eher überschaubar ausfallen hält man sich damit nicht allzu lange auf. Hier ist die Maussteuerung klar der Tastatursteuerung überlegen. Teilweise ist es auch nötig, zumindest ging es mir so, das manche speziell im späteren Spiel irgendwie keinen Sinn und Zusammenhang ergaben und auch hier ein wenig aufgesetzt wirkten. Hin und wieder bekommt auch den Ansatz von Action-Sequenzen, in dem man z.b. den auf Pferden reitenden John und River folgen muss damit es weiter geht. Da sie immer nur im Kreis reiten kann man sie gut erwischen, hier habe ich aber mit der direkten Tastatursteuerung bessere Erfahrungen gemacht. Ansonsten erlebt man sehr ausgiebige Dialoge, die meistens automatisch ablaufen und kaum Interaktion erlauben. Zum einen sieht man vergangene Gespräche von John mit unterschiedlichen Personen, natürlich River und auch seinen Freunden und anderen Weggefährten in den jeweiligen Zeitabschnitten – seien es Gespräche auf ihrer Hochzeitsfeier, im Erwachsenenalter der Dialog mit einem befreundeten Paar oder die Klassenkameraden in der Schule. Dazu kommen noch die Gespräche zwischen Eva und Neil, oder soll ich eher Sticheleien schreiben? Das trifft es wohl eher. Beide sind zwar Kollegen und verhalten sich gerne etwas distanziert zueinander, scheinen aber doch so vertraut zu sein als dass sie sich gegenseitig gerne aufs Korn nehmen. Wobei viele der Dialoge sehr flapsig geschrieben und mit vielen Popkultur Referenzen gespickt sind, was ich als eher störend empfand, da es mit der ansonsten ernste Stimmung des Spiels bricht. Vielleicht sollte das auch zur Auflockerung dienen, ich fand es aber eher deplatziert. Den ein oder anderen Schmunzeler konnten sie mir dann aber doch abringen, auch wenn die meisten Witze flach und unnötig sind.

Screenshot: Dialoge sind eher Monologe in To the Moon
Da man auf die Dialoge im Spiel fast nie Einfluss hat sind es eher Monologe – aber schön geschrieben.

Was auffällt ist dass ich bisher nur sehr wenige Worte über die Geschichte bzw. deren Inhalt verloren habe. Das hat aber seinen Grund, sie ist zwar das Herzstück des Spiels und gerade deswegen wollte ich nur wenige Worte darüber verlieren. Jedes Wort wäre ein potentieller Spoiler und die versuche ich so gut es geht zu vermeiden. Und da das Spiel außerhalb seiner Geschichte nur wenig zu bieten hat fällt mir das entsprechend schwer. Ein wenig zur Machart kann ich noch sagen, aber auch das habe ich größtenteils schon oder es fällt mir sehr schwer: im Gegensatz zu allen anderen Spielen, die mir bisher unter gekommen sind ist die Geschichte nicht überdramatisch, auf Slapstick-Comedy ausgelegt oder so bierernst sind dass sie in lächerlich-pathetische Klischees abdriftet. Die vermeidet To the Moon alle, man bekommt eine erfrischend normale, aber sehr gefühlvolle erzählte Geschichte die zu keinem Moment auf übertriebene Dramaturgie setzt um den Spieler bei Laune zu halten. Das Wort „gefühlvoll“ habe ich wahrscheinlich hier sehr oft verwendet, aber es passt auch am besten. Die Geschichte wirkt zu keinem Zeitpunkt gehetzt oder musste gestreckt werden, das Timing der Ereignisse und die Auswahl der Zeitabschnitte sind nicht zweckmäßig sondern folgen einem großen Plan, der erst zum Ende hin wirklich klar. Das hat zwar zu folge das man relativ lange im Dunkeln tappt was eigentlich los ist, man bekommt aber immer genug Hinweise um die Motivation aufrecht zu erhalten weiter zu machen. Gerade zu Beginn wird man mit vielen Rätseln konfrontiert die sich nur nach und nach auflösen, aber ich hatte nie das Gefühl den Überblick zu verlieren. Und genau hier liegt für mich die stärke das Spiels: man wird nie gelangweilt mit simplen, klischeehaften Geschichten, gleichzeitig aber auch nicht überladen mit Charakteren und Infos – die Balance stimmt zu jeder Zeit. Hier zeigen sich die Qualitäten von Kan Gao als Geschichten und Drehbuchschreiber und auch als Regisseur das Spiels.
Bleibt gerade bei diesen Begriffen die Fragen: warum ist das Spiel kein Film geworden? Ich denke das Potential dazu wäre da, aber wahrscheinlich nicht das Geld. Stattdessen ein Spiel mit dem RPG-Maker entwickeln schaffen auch technische Laien (dafür ist das Programm auch da) und das ganze wahr wahrscheinlich wesentlich kostengünstiger als einen Film zu drehen. Zumal die Finanzierung für ein solches Projekt schwierig gewesen wäre, da es dem Geschmack der überwiegenden Mehrheit nicht entsprechen dürfte, ohne dass daran große Änderungen vorgenommen würden. Von dem her bin ich froh dass es ein Spiel geworden ist, dass ganz der Vision seines Entwicklers und damit eines Künstlers entspricht. Dass es statt ein etabliertes Medium stattdessen das eher wenig geschätzte Spiel geworden ist unterstreicht die Ironie nur noch.

Aus gegebenem Anlass widmen ich mich auch noch der etwas 20minütigen Zusatzepisode, die kurz vor Weihnachten erschien. Sie soll die Brücke zum nächsten Adventure im To-the-Moon-Universum schlagen und beginnt passenderweise auf der Weihnachtsfeier der Sigmund Corp, der Firma, für die Eva und Neil arbeiten. Warum ich gerade diese Zusatzepisode (die im übrigen kostenlos an alle Käufer verteilt wurde) spannend finde ist die Tatsache, dass sie sich mit einem Thema beschäftigt die mich während des Spielens von To the Moon beschäftigte, aber nicht beantwortet oder auch nur angerissen wurde: wie ist die Technologie aus ethnischem und moralischen Standpunkt aus zu betrachten? To the Moon beschäftigt sich mit der persönlichen Geschichte von John und lässt diese Frage außen vor, obwohl sie eigentlich auf der Hand liegt. Die Zusatzepisode beginnt zumindest damit, indem sie Demonstranten vor dem Hauptgebäude der Firma zeigt. Sie besteht noch aus einem Minispiel, das voller Referenzen zur Geschichte das Hauptspiels ist und zumindest einen Ausblick auf die kommenden Ereignisse zeigt, wenn auch nicht viel. Spielerisch gibt es nichts neues, man ist die meiste Zeit mit Eva im Firmengebäude unterwegs und hört sich Gespräche an, die zwar lockerer als die meisten in To the Moon ablaufen, aber nicht mehr so flapsig sind wie zwischen ihr und Neil. Die moralische Problematik wird zwar nicht detailliert diskutiert sondern nur angerissen, da erhoffe ich mir vom Nachfolger von To the Moon, der in Arbeit ist, mehr.

Fazit: Ich weiß nicht ob ich To the Moon wie andere Spiele werten soll weil ich es im Grunde nicht für ein Spiel halte. Die Spielmechaniken sind rar gesät und wirken zu aufgesetzt um ein stimmiges Gesamtbild zu ergeben. Auf der anderen Seite steht die großartige Geschichte und der dazu passenden, wundervolle Soundtrack. Die vier Stunden Spielzeit mögen wenig wirken, waren für mich aber besser angelegt als so manch anderes Spiel, welches einen in der selben Zeit nur von einer Action-Sequenz zur nächsten jagt. Wer darauf steht wir mit To the Moon wahrscheinlich nicht glücklich. Wer aber gut erzählte Geschichte mag und über die technischen Schwächen das Spiels hinwegsehen kann, der bekommt ein Spiel an das man sich noch lange erinnern wird.