Wenn man ein erfolgreiches Spiel produziert, gibt es nur eine logische Konsequenz: Es muss so schnell wie möglich ein Nachfolger her. Das dachte sich auch Chris Saywer nach dem Erfolg seines ersten eigenen Spiels Transport Tycoon. Aber meist kommt es anders als man denkt, das Leben ist eine Achterbahnfahrt. Während der Entwicklung hat der schottische Programmierer seine Leidenschaft für die großen und schnellen Fahrgeschäfte entdeckt, entsprechend schwenkte der Fokus seines neuen Spiels von einer Logistik- zu einer Freizeitparksimulation, die sein größter Hit werden sollte. Am 12.4.1999 erschien RollerCoaster Tycoon.
Der Start des Spiels ist noch übersichtlich, das erste Szenario "Forest Frontiers" ist nur eine kleine, ebene Fläche in einem Wald. Die ersten Attraktionen wie ein Karussell, Schiffschaukel und Geisterhaus stehen schnell, da diese einfachen Fahrgeschäfte direkt platziert werden. Anspruchsvoller sind Achterbahnen, die ich aus Einzelteilen zusammenbauen kann – und das ist für mich der spaßigste Teil des Spiels. Steile Stürze, enge Kurven, Loopings, das wird eine wilde Fahrt. Wobei nicht zu wild, wirken zu starke Beschleunigungskräfte auf die Besucher, steigen sie erst gar nicht ein. Deshalb die Anstiege eher sanft gestalten und Kurven grundsätzlich anwinkeln. Leider wissen die Besucher meine Kunst, zwei Loopings einander zu verknoten, nicht so zu schätzen.
Aber das ist noch nicht alles, das Spiel ist keine reine Sandbox. Man muss mit dem Park auch Geld verdienen, damit man die prächtigen und teuren Achterbahnen überhaupt konstruieren kann. Zu Anfang ist das noch recht einfach, den Besuchern kann man für alles Geld abnehmen: Eintritt in den Park, für Besuch von Attraktionen und Essen und Souvenirs. Dementsprechend ist Geld normalerweise kein Problem. Ich hatte immer genug Cash, um weitere Attraktionen zu erforschen und dauernd Werbung zu schalten, damit der Nachschub an Gästen nie ausging. Klingt einfach? War es wohl auch, weshalb es später abgemildert wurde.
Die 21 mitgelieferten Szenarien haben eine sehr sanfte Schwierigkeitskurve, dazu haben nur wenige Besonderheiten, wie dass man keine Bäume entfernen darf. Da meist das Ziel ist, zum Ende eines bestimmte Ingame-Jahres eine bestimmte Anzahl Besuchern und Parkbewertung zu haben, ist vor allem Geduld gefragt, weil jedes Jahr ungefähr eine Echtwelt-Stunde dauert. In Evergreen Gardens mit seinen vier Jahren ist das nicht ohne. Zumal dessen ausladendes Wegenetz zu Beginn eher stört. Also die Besucher erstmal nur in einen kleinen Teil lassen. Aber auch nicht zu klein, wenn es ihnen zu voll wird, sinkt die Parkwertung. Diese recht undurchsichtig berechnete Zahl war mein härtester Gegner im Spiel, speziell in den späteren Szenarien und insbesondere der Addons. Heute sieht das natürlich anders aus, durch Reverse-Engineering hat die Community entschlüsselt, wie sich die Zahl errechnet. Als Kind hatte ich nur eine vage Ahnung, wie sie zu Stande kam und bei nicht so offensichtlichen Problemen häufig ratlos.
Das Spiel ist in klassischer 2D-Grafik gehalten, die Objekte wurde zwar von Simon Foster in 3D gebaut, aber in einzelne Sprites gerendert. Kombiniert mit dem in Assembler geschriebenen Programmcode lief das Spiel selbst auf für damalige Verhältnisse schwachen Rechnern problemlos. Aber das grobe Raster, nur vier Kamerawinkel und die eher starren Streckenbauteile dürften die kreativsten Menschen eher einschränken. Für mich war nicht nur kein Problem, sondern aus heutiger Sicht eher ein Glücksfall. Durch die Einschränkungen sieht das meiste, was ich baue, zumindest angenehm aus.
Das ist einer der Gründe, warum ich mit einigen der in 3D gehaltenen (geistigen) Nachfolger nie warm geworden bin. Es mögen objektiv die besseren kreativen Sandkästen sein, aber man braucht auch einiges mehr an Talent, um ansehnliche Ergebnisse zu erzielen. RollerCoaster Tycoon mag in dieser Hinsicht eingeschränkter sein, aber auch zugänglicher und selbst mit meinen beschränkten Fähigkeiten kann ich gutaussehende Parks erschaffen. Das dürfte der Hauptgrund sein, warum ich es immer wieder anwerfe und für einige Stunden Spaß damit haben kann. Auch wenn es auf Dauer doch etwas zu eintönig ist.
RollerCoaster Tycoon wurde für Publisher Microprose und Chris Saywer ein riesiger Erfolg, entsprechend schnell musste Nachschub her. Das erste Addon Added Attractions Pack ist eine klassische Missions-Disc, wie sie in den 90er weit verbreitet war. Neue Missionen, Attraktionen, Stände – einfach mehr vom selben. Ich habe das Addon in einem Paket mit dem Grundspiel gekauft – also buchstäblich, die beiden großen Euroboxen waren mit einem Band verbunden – und kenne das Spiel kaum anders. Das zweite Addon Loopy Landscapes habe ich erst deutlich später gekauft. Es brachte zwar auch neue Szenarien und Attraktionen, aber auch eine gewichtige Änderung: In den meisten Parks kann ich entweder für den Eintritt oder für das Fahren in den Attraktionen Geld verlangen. Andere Missionen hatten speziellere Ziele, wie eine bestimmte Summe Geld in einem Monat mit Verkäufen an Ständen einnehmen oder angefangene Achterbahnen fertigstellen und dabei einen bestimmten Attraktivitätswert erreichen. Das klingt auf dem Papier interessant, aber wirklich viel gespielt habe ich es nicht mehr. Bei mir war die Luft raus, im Grunde war es doch nur mehr vom selben.
Nach den beiden Addons erschien 2002 ein zweiter Teil von RollerCoaster Tycoon, der gerüchteweise ursprünglich als weiteres Addon geplant war. Den zaghaften Neuerungen nach halte ich das für plausibel. Viel gespielt habe ich diesen Teil aber nicht, vor allem, weil er keinen Fenstermodus mehr hatte – schon damals habe ich das Spiel gerne im Hintergrund laufen lassen, auch mit nur einem Monitor. Die beiden Addons dafür hat Frontier Developments entwickelt, die Firma von David Braben, der vor allem für die Weltraum-Simulation Elite bekannt ist. Die Firma aus Cambridge hat auch einen dritten Teil in 3D entwickelt. Dieser Teil wurde von den Fans durchaus positiv aufgenommen, mit den Feuerwerken bot er ein gänzlich neues Spieleelement neben dem bekannten Gameplay-Kern. Aber mich hat dieser Teil nie wirklich abgeholt, ich bin deutlich mehr Zahlen- den Kreativmensch. Später hat das Team mit Planet Coaster einen geistigen Nachfolger entwickelt, der aber deutlich mehr Kreativ-Sandbox den Wirtschaftssimulation ist und mir nicht mehr so zusagte. Chris Saywer entwickelte mit Locomotion noch ein Spiel, bevor er sich aus der aktiven Spiele-Entwicklung zurückzog. Ich verlinke hier nochmal eines seiner wenigen Interviews mit dem englischen Magazin Eurogamer, wo er über seine Beweggründe dafür und ein wenig aus der Entwicklungsgeschichte des Spiels erzählt.
Heute werden von der Firma Atari (mit dem Videospielpionier hat sie nur den Namen gemein, der ging über die Jahre durch mehrere, nicht immer gute Hände) neue Spiele unter dem Titel RollerCoaster Tycoon veröffentlicht, deren Bewertung von durchwachsen bis kompletter Murks rangieren. Selbst die Neuauflage von Teil 1 und 2 mit dem Titel RollerCoaster Tycoon Classic kam so semi-gut an, weil es ein Port von mobilen Plattformen mit Touchscreens ist und sich entsprechend sperrig auf dem PC spielt. Mit einem Touchscreen okay, aber ansonsten gibt es eine bessere Alternative. An den neueren Spielen ist der Chris Saywer wenn überhaupt, nur in beratender Funktion beteiligt.
Ähnlich wie bei OpenTTD haben Fans den von Hand geschriebenen und deshalb vergleichsweise lesbaren Assembler-Code des Spiels analysiert, und mit OpenRCT2 einen Nachbau unter Open-Source-Lizenz erstellt. Entgegen dem Namen kann er auch Missionen des ersten Teils abspielen, mit kleinen Anpassungen der Kompatibilität wegen, was sich aber nur auf die Größenordnung von Zahlen beschränkt. Dazu gibt es viele Komfortfunktionen, Portierung auf allerlei Systeme, einen Multiplayer-Modus und ein Plugin-System für weitere Funktionen. Vom Original braucht es nur die Dateien für Grafik, Sounds und Szenarien. Heute spiele ich ausschließlich damit, allein schon, weil es damit technisch auf aktuellen Systemen problemlos läuft.
RollerCoaster Tycoon ist einer dieser Klassiker, der einfach nicht tot zu kriegen ist. Es ist ein zeitloses Spiel, selbst ich kann wieder für ein paar Stunden damit Spaß haben, egal wann ich es starte. Und damit geht es nicht nur mir so, die Fanbase für die Originale ist weiterhin riesig. Die Nachfolger konnten daran wenig rütteln. Wenn man unter die Haube schaut, ist es vergleichsweise einfach konzipiert, aber das ist auch irgendwo der Charm des Spiels. Statt eine komplexe Sandbox mit ausufernden Möglichkeiten ist es ein Spiel, mit dem jeder Spaß haben kann: Kreativkopf, Zahlenmensch oder jemand, der einfach nur eine Achterbahn beim Entgleisen explodieren sehen will.