Echtzeitstrategie ist eines meiner liebsten Genres, auch wenn es seine goldene Ära schon eine Weile hinter sich hat. Um die Jahrtausendwende sah das noch anders aus, da konnte man sich vor Titeln gar nicht retten. Die meisten waren aber wenig innovativ, sondern kopierten nur die Platzhirsche. Wenn sich aber ein Spiel anschickt, zwei Genres miteinander zu verbinden, viel neues zu wagen und zum Überfluss auch noch von dem Typen, der Die Siedler erfunden hat? Das kann doch nur gut werden. Am 26. November 2003 erschien SpellForce – The Order of Dawn.
Mein Erstkontakt mit SpellForce muss durch eine Preview in einer Ausgabe der PC Games gewesen sein, die ich damals noch im Abo hatte. Bei mir blieb vor allem hängen "das neue Spiel von Volker Wertich". Als großer Fan der Siedler hatte das bei mir durchaus Gewicht, auch wenn ich eher die Teile favorisiere, an denen er nicht beteiligt war, zumindest direkt.
SpellForce war von Anfang an ein sehr ambitioniertes Projekt: Ein Hybrid aus Echtzeitstrategie und Rollenspiel, an sich schon komplexe Genres, dazu mit einem großen Aufbauteil: Zwei Fraktionen mit je drei Völkern, von denen man öfters mehrere gleichzeitg steuert und die jede unterschiedliche Kombinationen der sechs Ressourcen brauchen. Dutzende Einheiten und Gebäude und viele Gegnertypen runden das Projekt ab, das mit gerade mal 30 Entwickler entstand – und dem damals leider üblichen, brutalen Crunch über viele Monate.
Für ein Echtzeitstrategiespiel ist das Tempo in SpellForce eher gemächlich: Der Aufbau dauert, ebenso Ausbildung von Einheiten und Forschung. Dazu sind die Gebäude sehr groß, sie in die Karten zu puzzle kann schon eine Herausforderung an sich sein. Die riesigen Karten tun ihr übriges. Das Rollenspielsystem als zweite, dicke Säule des Spiels ist extrem offen: Alles ist darin untergebracht, von Nahkampf, Fernkampf mit Bögen, leichte und Schwere Rüstungen und sechs Magieschulen, dazu hat der zu Spielbeginn erstellte Hauptcharakter sieben Attribute. Es gibt kaum Einschränkungen, es kann fast alles beliebig miteinander kombiniert werden. Auch wenn es meist keinen Sinn macht, weil man dann alles ein bisschen, aber nichts richtig kann. Ich habe bessere Erfahrungen damit gemacht, mich auf zwei oder drei Kategorien zu spezialisieren, am besten noch solche, welche sich Attribute teilen. Oder man spielt einen "Paladin", Schwere Rüstung plus Heilmagie, damit kann man einige Karten im Alleingang erledigen.
Für mich das Kernstück ist die Kampagne, die 21 Karten zu meistern kann schonmal dutzenden Stunden dauern. Ein wenig ist dem auch geschuldet, das die Karten extrem groß sind und die Laufwege entsprechend sehr lang. Die Story ist auch komplex, eine Zeitschleifen-Geschichte, bei der ich mir bis heute nicht sicher bin, ob ich sie wirklich verstanden habe. Ein Highlight ist für mich die Nebenquest um das Liebespaar Amra und Lea, welche sich durch das ganze Spiel zieht, sehr gut geschrieben ist und einen am Ende mit der besten Rüstung im Spiel belohnt – so gehen Nebenaufgaben! Das Spiel hat auch einen Multiplayer-Modus, für mich war der aber nur "da", es hat mich nie wirklich interessiert. Die ganze Serie war und ist für mich eine Einzelspielererfahrung. Das war aber nicht immer so gedacht.
Was hinter den Kulissen der Entwicklung vor sich ging, erfuhr ich erst deutlich später. Teils aus Foren, aber vor allem im Post-Mortem mit Producer und Projekt Leiter Ralf C. Adam, dass ihr leider nur hinter der Paywall von AufEinBier/GamesPodcast/ThePod findet. Zum Beispiel habe ich erst kurz vor Release des ersten nicht von Phenomic produzierten Addons zu SpellForce 2, Faith in Destiny erfahren, dass der erste Teil ursprünglich als MMO geplant war. Bis etwas ein Jahr vor Release wurde es so entwickelt, und dann in einem brutalen Crunch zu einem klassischen Einzelspielerspiel umgebaut. In Previews wurde das aber nie erwähnt. Für mich erklärt das aber einige Eigenarten des Spiels: Wie dass die Karten so gigantisch sind, weil sie mal dafür vorgesehen waren, dass ich mehrere Spieler darauf tummeln. Und es quasi keine Gegner-KI gibt. Es gibt noch weitere Design-Entscheidungen, die in einem Einzelspieler-Spiel eigentlich keinen Sinn machen, im Kontext eines MMOs aber schon. Jetzt kann ich das alles nachvollziehen, hilft mir aber nicht, weil ich mich jetzt mit den elendig langen Laufwegen und anderem rumschlagen muss. Was ich bis zu dem Podcast gar nicht wusste, ist dass Petro Fröhlich geb. Maueröder und damalige Chefredakteurin der PC Games, dafür verantwortlich ist, dass es im Spiel Titanen gibt – die es dann sogar auf die Packung geschafft haben! Manche Geschichte sind so bekloppt, die können nur wahr sein.
Mit SpellForce ging es noch weiter, für den ersten Teil gab es zwei Addons: The Breath of Winter erschien 2004 und bracht eine neue Kampagne mit komplett anderer Story. Wiederum ein Jahr später verband Shadow of the Phoenix die Geschichte des Grundspiels und des Addons. Man kann sie theoretisch auch alleine spielen, aber sie wirkt doch besser, wenn man zumindest eines, aber besser beide vorherigen kennt. Komplett neu war der zweite Teil von 2006 sowie ein Addon, mehr dazu, wenn es ein Jubiläum in naher Zukunft feiert. Beides verkaufte sich nicht gut, Phenomic wurde zudem von Electronic Arts gekauft und wand sich anderen Projekte zu. 2013 wurde die Firma geschlossen.
Für SpellForce war das noch nicht das Ende, unter Jowood wurde noch die Entwicklung eines weiteren Addons gestartet, was aber vor ihrer endgültigen Pleite nicht mehr erschien. Die Rechte an den Spielen sicherte sich in der Folge THQNordic, die es irgendwie herausbrachte und ein weiteres in Auftrag gaben. Für mich überraschend kam dann Ende 2017 der dritte Teil heraus, entwickelt vom dafür gegründeten Studio Grimlore Games in München, es folgten zwei Stand-Alone Addons. Zudem erschien 2023 mit Conquest of Eo ein 4X-Rundenstrategiespiel von Owned by Gravity (was ich einen wirklich tollen Namen für ein Studio finde, btw), das bis heute mit DLCs gepflegt wird. Wollte ich schon lange mal spielen, aber passte irgendwie nie rein. Zu viel anderes, was meine Aufmerksamkeit bindet. So steht die Marke bis heute, ist nie der Welthit geworden, aber doch erfolgreich genug, dass es noch neue Spiele gibt, wenn auch im eher kleineren Maßstab und nicht so häufig. Tut der Qualität aber wahrscheinlich gut.
