Heute vor 15 Jahren: StarCraft 2 – Wings of Liberty

Screenshot: Eine Terraner-Armee greift einen Zug in einer Mission der Kampagne aus StarCraft 2 - Wings of Liberty an

Lange musste nicht nur die Fanbasis, sondern ein ganzes Land auf den Nachfolger eines der beliebtesten Echtzeitstrategiespiele aller Zeiten warten. Die Anspannung war aber aller Ortens groß: Kann der Nachfolger die gigantischen Fußstapfen ausfüllen? Wie reagieren die Veranstalter von Turnieren? Klappt das mit der Aufteilung der Story in drei Teile? Und warum sollte man mehr als ein Gebäude gleichzeitig selektieren wollen? Die Antworten gab es am 27. Juli 2010, denn an diesem Tag erschien StarCraft 2 – Wings of Liberty.

Eigentlich ging die Geschichte schon viel früher los. Bereits 2007 wurde das Spiel mit einem sehr stimmigen Trailer angekündigt. Als Ort hat sich Blizzard nicht die E3 oder ihre Hausmesse Blizzcon ausgesucht, sondern Seoul, Schauplatz ihres "Worldwide Invitational". Die Reaktion? Überwältigen. Das ist auch kein Wunder, weil der Vorgänger StarCraft quasi der Nationalsport Südkoreas war. Mit seiner großen Turnierszene, Top-Spieler die wie Pop-Stars gefeiert wurden und zwei TV-Kanälen, die nichts anderes als StarCraft zeigten, wurde der kleine Staat zum Mutterland des professionellen eSports. Wo in Europa und Amerika die Spieler meist Schüler waren oder es anderweitig nebenher machten und Turniere hemdsärmelig organisiert wurden, hatte Südkorea mit der KeSPA eine eigenen eSport-Behörde, die alles organisierte und reguliert – sie sollten später noch wichtig werden.

Aber nicht nur im kleinen Land im fernen Asien, auch in anderen Teilen der Welt waren viele Spieler auf den neuen Titel gespannt. WarCraft 3 lag acht Jahre zurück und war das angesagteste Spiel im RTS-Bereich, aber wegen seines Fokus auf Helden und kleine Armeen hat es nie alle Spieler überzeugt. StarCraft blieb ein beliebter Titel, auch außerhalb Koreas. Ich war eher Späteinsteiger, war zu der Zeit sogar im Team der Fan-Seite inStarCraft.de (von der heute nur noch das Forum ausgegliedert existiert, betretet es mit Vorsicht, dort herrscht ein rauer Ton).

Allerdings sollte es bis zum Release des Spiels nochmal drei Jahre dauern. Ein Grund war wohl, dass recht kurzfristig entschieden wurde, die "Battle.net 2.0" genannte, spielübergreifenden Plattform noch zu integrieren, statt wie früher jedes Spiel auf eine eigene Infrastruktur zu setzten. In der Zwischenzeit wurde die Community mehr oder weniger regelmäßig mit Infos versorgt. Die Battle Reports, Videos von Spielen zwischen den Entwicklern und kommentiert vom Lead Designer Dustin Browder, war jedes Mal ein kleines Highlight. Aber es wurde auch jedes Detail gütlich zerpflückt. Speziell im Hort der Broodwar-Ultras, dem Forum von TeamLiquid (der Ursprung des heutigen, professionellen eSports-Teams, um Verwechslungen zu vermeiden und wohl auch aus Imagegründe heißt die alte Webseite seit ein paar Jahren nur noch tl.net), wo über jede Kleinigkeit geurteilt wurde, als wäre das goldene Kalb geschlachtet worden. Wie das mehrere Gebäude gleichzeitig selektiert werden konnten. Oder mehr als 12 Einheiten. Wobei diese Diskussion dort bis heute anhält.

Ich sah das nicht so eng, im Gegenteil, ich finde die Bedienung des direkten Vorgängers schon für Verhältnisse von 1998 nicht gut – als ich es circa 2001 gespielt habe, schon gar nicht. Entsprechend mochte ich die Verbesserungen. Bei anderen Sachen war ich skeptisch, wie der Aufteilung der Kampagne in drei Teile, aber erst in den folgenden Teilen würden das bestätigen, aber das ist eine eigene Geschichte für einen anderes Mal. Aber generell habe ich mich auf das Spiel gefreut, damals waren neue Echtzeitstrategiespiele eine Seltenheit. Microsoft hatte Age of Empires mehr oder weniger eingemottet, um sich ganz auf die Xbox-Konsole zu konzentrieren. Die Indie-Szene, die heute für einen Großteil der Titel verantwortlich ist, gab es schlicht nicht. Blizzard hielt allein die Fackel hoch – und wie.

Meine erste, eigene Erfahrung mit dem Spiel war ungewöhnlich: Es gab zwar eine Beta, aber nur für einen kleinen, erlesenen Teil der Spielerschaft. Allerdings konnte sich jeder den Client herunterladen, aber nichts damit anfangen – außer Replays anderer Spieler anschauen. Die verbreiteten sich schnell. Allein das Spiel in Aktion zu sehen, hat mich schon gehyped. Irgendwann konnte ich auch reinspielen und war vom ersten Moment an begeistert. Zum Release habe ich mir die Collector’s Edition in England vorbestellt, weil ich auf Englisch spielen wollte und das so schneller ging, "dank" meiner lahmen Internetleitung.

Am Spiel gab es dann wenig zu meckern: Die Grafik war auf der Höhe der Zeit, völlig untypisch für Blizzard. Die Musik so bombastisch wie nie zuvor. Am Gameplay hatte sich auf den ersten Blick gar nicht so viel geändert: Mineralien und Vespin Gas abbauen, Gebäude bauen, Einheiten ausbilden, Gegner überrollen – Standard im Genre. Die drei Fraktion unterschieden sich weiterhin sehr stark. An ihrer grundlegenden Spielweise ändert sich wenig, sie wurden noch stärker ausdifferenziert und um neue Möglichkeiten erweitert: Die Terraner bekamen flexiblere Erweiterungen für ihre Gebäude, die Zerg verbreiteten ihren lila Schleim "Kriecher" für Boni und die Protoss erschufen mit den Warpgates Einheiten da, wo sie es wollten.

Dazu wirkte alles schon zum Release so rundgeschliffen, das zusätzliche Jahr Entwicklungszeit hat bestimmt nicht geschadet. Die Multiplayer-Partien waren schnell und bestraften jeden Fehler. Die Skirmish-KI und Wegfindung sind bis heute die besten, die ich in einem klassischen Echtzeitstrategiespiel kenne. Die Integration des neuen Battle.net lief erstaunlich reibungslos: Die Multiplayerserver liefen stabil, alle angekündigten Features waren da und funktionierten. Selbst die Balance zwischen den drei Parteien war zum Start schon sehr ausgeglichen. Ein Start nach Maß.

Screenshot: Jede Mission der Kampagne hatte ihren ganz eigenen Kniff, wie hier Mineralien auf tiefem Gebiet, was regelmäßig von Lava geflutet wurde
Jede Mission der Kampagne hatte ihren ganz eigenen Kniff, wie hier Mineralien auf tiefem Gebiet, was regelmäßig von Lava geflutet wurde

Die Kampagne war für mich das Herzstück, die den Rebellen Jim Raynor und seinen Kampf gegen den Diktator Arcturus Mengsk im Fokus hatte. Die Missionen selbst waren an Abwechslung kaum zu überbieten, jede spielte sich anders und brachte etwas Neues. Standard-RTS-Mission gab es kaum und wenn, hatten sie einen besonderen Kniff. Wobei mir schnell auffiel, dass meist die neu eingeführte Einheit der Schlüssel zum Sieg war, was meine Begeisterung aber nicht bremste. Die Inszenierung war auch abseits der fantastischen, vorgerenderten Zwischensequenzen besser als alles andere im Genre und wahrscheinlich der meisten Spiele zu dieser Zeit. Dass ich zwischen den Missionen mit Jim sein Flaggschiff Hyperion erkunden und mit anderen Charakteren Gespräche führen konnte, das gab es so bisher nicht. Zwar war nichts davon wirklich wichtig, aber es zeigte die Detailverliebtheit der Entwickler. Dazu ein permanenter Techtree außerhalb der Missionen, auch das war im Genre neu.

Eine der großen Stärke von StarCraft und vor allem den Addon Broodwar war die Geschichte. Wie die Charaktere trotz der beschränkten Mittel inszeniert wurden, wie geschickt die Story aufgezogen war und verlief (ohne zu Spoilern), das war 1998 und 1999 einzigartig. Wie soll der direkte Nachfolger das toppen? Die Antwort: Gar nicht, es war mehr Rückschritt. In seiner Gänze war das aber noch nicht klar.
In Wings of Liberty verlief die Geschichte deutlich vorhersehbarer, sowohl die der Kampagne selbst als auch die übergreifenden Hybriden-Story. Dazu zwang mich das Spiel, zwischen den Strängen der Handlung hin und her zu springen, statt einen am Stück zu spielen (das wurde in den Addons geändert). Der Bruch kam aber erst am Ende: Wenn der Ritter in dreckiger Rüstung seine Geliebte in den Sonnenuntergang trägt, drohte ich, im Schmalz zu ertrinken. Was zu allem Überfluss mit wichtigen Motiven des Vorgängers bricht. Die Aufteilung nach Rassen hat mich nicht so gestört, zum Teil auch, weil Wings of Liberty eine Mini-Kampagne mit den von mir favorisierten Protoss enthielt. Und wie gesagt: die ganze Tragweite konnte ich noch nicht erfassen, dass sollte noch über fünf Jahre dauern.

Meine Erfolge im Multiplayer waren eher bescheiden. Meine Internetleitung war immer noch ziemlich lahm, zwar nicht mehr Dial-Up aber im Jahr 2010 dürfte "ausreichend" das passende Wort für 1mbit gewesen sein. Durch mein Studium konnte ich aber nicht viel Zeit investieren. Mein selbst gestecktes Ziel, den Platin-Rang, habe ich nie erreicht. Ich habe die eSports-Szene verfolgt, die durch den Release einen enormen Schub bekam. Vor allem in Europa und Nordamerika war RTS wieder prominent vertreten, alle großen Veranstalter hatten ein StarCraft-2-Turnier im Programm. Die Preisgelder wuchsen, es gab immer mehr professionelle Teams und Spieler.
In Südkorea sah es nicht so rosig aus, dort konnte StarCraft 2 den Erstling nie vom Thron stoßen. Meiner Einschätzung nach wegen mehrerer Faktoren: Zum einen haben neue Spiele bei alteingesessenen Communities immer einen schweren Stand, die Quake-Reihe kann davon ein Lied singen.

Dazu kam es zum offenen Konflikt zwischen Blizzard und der KeSPA. Die koreanische eSport-Behörde hatte alle Fäden in der Hand und sehr viel Macht, vor allem über das finanzielle. Das wollte sich Blizzard nicht gefallen lassen. Nachdem es zu keiner Einigung kam, erteilte das Entwicklerstudio dem aufstrebenden Streaming-Unternehmen GOMTV die Exklusive-Lizenz, in Korea StarCraft 2 Turniere zu veranstalten und übertragen. Im Gegenzug verweigerten die KeSPA, den von ihnen sanktionierten Spielern den Zugang zu Turnieren außerhalb des eigenen Herrschaftsgebiets. Es dauerte über zwei Jahre, bis sich die beiden Partien zusammenrauften. Zwar wurde StarCraft 2 auch eine große Nummer in Korea und es gab viele professionelle Spieler und Team, aber das Niveau des Vorgängers sollten es nie erreichen. Die Nachwirkungen des Manipulations-Skandals in Broodwar dürften auch eine Rolle gespielt haben. Zu allem Überfluss wiederholte sich das im Nachfolger.

Für StarCraft 2 war Wings of Liberty noch lange nicht das Ende. Im März 2013 erschien das Addon Heart of the Swarm, was die Geschichte fortsetzte und mit neuen Einheiten den Multiplayer neu ausbalanciert, aber nicht unbedingt zum Besseren. Abgeschlossen wurde die Geschichte erst im November 2015 mit dem zweiten Addon Legacy of the Void. Der Multiplayer wurde erneut stark überarbeitet und der bis heute enorm populäre Coop-Modus eingeführt. Über das Jahr 2016 verteilt erschien in drei Teilen die Erweiterung Nova Covert Ops, die eine eigene Geschichte erzählt. Im Multiplayer und eSport blieb StarCraft 2 eine Bank, es gibt bis heute hochdotierte Turniere, auch wenn es vor allem die letzten Jahre deutlich abwärts ging. Ganz weg ging es bis aber nicht, ebenso wie der direkte Vorgänger, welcher vor allem in Korea heute noch populärer ist.

Ich persönlich habe es zu Anfang sehr intensiv gespielt, auch im Multiplayer, so gut es neben meinem Studium ging. Irgendwann während Heart of the Swarm habe ich die Motivation verloren, bin erst wieder zum letzten Teil eingestiegen. Aber ohne Interesse an kompetitiven Spielen, auch als Zuschauer. Der exzellente Coop-Modus hat es noch viele Jahre auf meiner Festplatte gehalten, für die Warchests (was man heute als Battle-Pass bezeichnen würde) habe ich Skirmish gespielt. Im Oktober 2020 wurde der Support für das Spiel auf das Notwendigste reduziert. Blizzard hat bis heute kein weiteres Echtzeitstrategiespiel veröffentlicht, was nicht unbedingt an den Mitarbeitern lag. Viele haben aber die Firma verlassen und Projekte wie Stormgate und Battle Aces angestoßen. Ob es jemals eine offizielle Fortsetzung geben wird? Sehen wir Jim Raynor, Sarah Kerrigan und Artanis je wieder?

Aktuell habe ich da keine Hoffnung. Nach der Übernahme von Activision-Blizzard durch Microsoft, die sehr erfolgreich Age of Empires aus seinem Dornröschenschlaf geholt haben, wurde in der Community schon zum Aufbruch geblasen. Ich war da skeptisch, durch die jüngsten Entwicklungen bei Blizzard und Microsoft inkl. großer Entlassungswellen und Studioschließungen sehe ich heute keinen Grund zur Hoffnung, in absehbarer Zeit ein Spiel mit dieser Marke sehen, und schon gar keinen echten Nachfolger. Ein wenig traurig, weil ich StarCraft 2 trotz seiner Kritikpunkt zu meinen Lieblingsspielen zähle und beim kurzen Anspielen, um Screenshots für diesen Beitrag zu machen, wieder Lust bekam, die Geschichte nochmal komplett von vorne und in einem Stück zu spielen. Allein um die Frage zu klären, was denn nun die beste Kampagne in einem Echtzeitstrategiespiel ist – StarCraft 2 oder WarCraft 3. Aber auch das wird warten müssen. Indes setzte ich meine Hoffnungen auf spirituelle Nachfolger wie Stormgate oder ZeroSpace (Battle Aces wurde noch vor Release eingestellt). Oder ich bemühe die Klassiker, immerhin hält sie Blizzard noch am Laufen.